Der Worst Case-Ansatz forciert einen Perspektivenwechsel
„Wie können wir die Kundenerfahrung so schlimm wie möglich gestalten?“ – Diese vermeintlich einfache Frage kann zu erstaunlichen Erkenntnissen führen!
Auf einen Best Case — also den bestmöglichen Fall — hinzuarbeiten setzt voraus, dass ein klares Ziel bekannt und definiert ist. In der Digitalen Transformation ist jedoch nicht immer klar ist, wie der bestmögliche digitale Service, die bestmögliche digitale Beratung oder das bestmögliche digitale Angebot aussieht. Wir befinden uns in vielerlei Hinsicht auf Neuland.
Aus diesem Grund kann ein Perspektivwechsel überraschend aufschlussreich sein. Anstatt zu fragen, was verbessert (oder totoptimiert) werden kann, lädt der Worst Case-Ansatz zum kritischen, aber auch kreativen Hinterfragen ein. Und das beste daran: Er macht dabei verdammt viel Spaß.
Nachfolgend stelle ich Ihnen meinen Vorschlag für ein Worst Case-Grundgerüst vor, welches in zehn simplen Schritten erfolgt und nach Belieben angepasst oder erweitert werden kann:
- Vision, Purpose, Claim: Zunächst gilt es, sich die übergeordnete Vision, den Purpose (Unternehmenszweck) und den Markenkern bzw. das Markenversprechen vor Augen zu führen. Wofür steht Ihr Unternehmen und wo möchten Sie hin? Welches Problem (der Kund:innen/der Welt) lösen Sie?
- Zielgruppe: Welche Zielgruppe soll künftig angesprochen werden? Welche Anforderungen stellt diese Zielgruppe und welche Erwartungshaltung hat sie gegenüber Produkten und Dienstleistungen (z. B. Beratung)?
- Verfügbare Ressourcen: Welche Ressourcen stehen für die Digitalisierung und künftige Betreibung der (digitalen) Kundenberatung / des (digitalen) Kundenservice zur Verfügung?
- SWOT: Wo liegen die Stärken, Schwächen, Möglichkeiten und Risiken Ihres Unternehmens?
- Umfrage/Feedback: Fragen Sie Ihre Kund:innen und Mitarbeiter:innen danach, was bei Ihnen schief läuft und was Sie verbessern könnten (z.B. in Bezug auf Prozesse).
- Worst Case Szenarios: Wie würde eine wirklich schlechte Kundenerfahrung aussehen? Was macht sie miserabel? Auf welchen Kanälen findet sie statt? Wie wird Ihre Zielgruppe dabei eingebunden? Welche Informationen werden dabei geteilt und welche einbehalten? Und vor allem: Wessen Interessen werden bei der Worst Case-Beratung vertreten und was kostet sie Sie und Ihre Kund:innen? (Vielleicht haben Sie auch einen konkreten Fall, bei dem etwas so richtig schief gelaufen ist?)
- Spezifizierung: Wie würden die einzelnen Touchpoints mit den Kund:innen behandelt werden und wie hängen sie zusammen? Welche Kanäle werden integriert und welche nicht? Wie wird die Zielgruppe angesprochen und gewonnen? Wie läuft das Kunden-Onboarding ab? Wie finden Kundenumfragen statt und wie wird Feedback eingeholt und ausgewertet?
- Bezug zur Zielgruppe: Welche Gefühle und Reaktionen würden die einzelnen Worst Case-Charakteristika bei Ihrer Zielgruppe auslösen? Wie kommen Sie ihrer Anspruchshaltung entgegen und/oder welche (falschen) Erwartungen werden geweckt? Wenn möglich sollten Sie an dieser Stelle bestehende Kund:innen sowie Repräsentant:innen neuer Zielgruppen direkt miteinbeziehen.
- Bezug zum eigenen Unternehmen abgleichen: Welche der identifizierten Worst Case-Charakteristika praktiziert Ihr Unternehmen (teilweise) vielleicht selbst aktuell? Wo liegen Prozessbrüche? Wo werden falsche Erwartungen geweckt oder Versprechen gegeben die nicht eingehalten werden können?
- Umsetzung und Verbesserung: Welche Erkenntnisse können für Ihr Unternehmen gewonnen werden? Wie könnten Verbesserungen umgesetzt oder neue Ansätze eingeführt werden? Und welche Teilschritte sind hierzu notwendig? Reichen Ihre internen Ressourcen für die Umsetzung aus, oder benötigen Sie zusätzliche/externe Unterstützung?
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Wenn Sie mehr zu neuen Ansätzen der Geschäftsmodellinnovation erfahren möchten, empfehle ich Ihnen einen Blick in Teil 2 der großen Meta-Studie zu den Chancen und Risiken der Digitalen (R)Evolution im deutschen Finanzbereich: Bionic Wealth: Die nächste Generation der Vermögensanlage ist inspiriert vom Leben.