Was erwarten Kund:innen?

In der Wirtschafts- und Finanzwelt haben Erwartungen einen besonderen Stellenwert.

Erwartungen* basieren auf Zukunftsaussichten, die unserer Vorstellung entspringen und der Entscheidungsfindung dienen. Im Gabler Wirtschaftslexikon heißt es dazu: „Da bei zukunftsbezogenen Entscheidungen meist viele für die Entscheidungsfindung wichtige Größen unbekannt bzw. unsicher sind, können nur Erwartungen über die unbekannten Größen herangezogen werden“, erklärt Prof. Dr. Hans-Werner Wohltmann im Gabler Wirtschaftslexikon. Demnach können Erwartungen sowohl positiv als auch negativ besetzt sein. Sie können gehegt, bestätigt, erfüllt, oder übertroffen werden. Gleichzeitig können wir in unseren Erwartungen allerdings auch zurückbleiben und enttäuscht werden. Darüber hinaus können Erwartungen aber auch neutral oder nicht vorhanden sein. In diesem Fall besteht besonders großes Potenzial für Überraschungen — also etwas, das nicht erwartet wurde.
* Bei einer Erwartung handelt es sich laut Duden um einen mit Spannung verbundenen „Zustand des Wartens“ bzw. eine „vorausschauende Vermutung, Annahme, Hoffnung“.

Grundsätzlich sind Kundenerwartungen subjektiv und entsprechen der jeweiligen persönlichen Lebenssituation, den Erfahrungswerten, dem Wertesystem, dem aktuellen Wissens- und Informationsstand sowie dem sozialen Umfeld der Kundin oder des Kunden. Allerdings lässt sich ein Unterschied beobachten zwischen den Erwartungen, die Kund:innen an Produkte richten, und der Erwartungshaltung, die sie gegenüber Dienstleistungen haben. Die an Produkte und Instrumente gerichteten Erwartungen basieren zumeist auf mathematischen Wahrscheinlichkeiten und/oder einem begrenzt-rationalen Rückblick auf die Vergangenheit. Im Gegensatz dazu basieren die Erwartungen an Dienstleistungen fast ausschließlich auf dem subjektiven Empfinden der Person.

Erwartungen können sowohl an Finanzinstrumente und Produkte gerichtet sein (etwa die Entwicklung eines Finanzproduktes) als auch an Dienstleistungen und den Kontakt mit einem Unternehmen bzw. den Menschen, die darin arbeiten. Sowohl Erwartungen an Produkte (bzw. der Performance) als auch an Dienstleistungen werden in der Regel durch eine Vielzahl von internen und externen Kontaktpunkten geweckt. Dazu zählen einerseits die Bemühungen der Kundenberater:innen und des Kundensupports sowie das Image und Marketing des Unternehmens als auch durch Freunde, Familie und Dritte (etwa Medien, Influencer oder soziale Netzwerke) bereitgestellte Informationen.

Im Unterschied zu einem Bedürfnis, welches in der Regel auf verschiedene Weisen erfüllt werden kann, sind Erwartungen an eine bestimmte Situation, ein Produkt oder eine Dienstleistung geknüpft. Während Erwartungen und Bedürfnisse in ihrer Natur grundverschieden sind, liegt ihre größte Gemeinsamkeit darin, dass sie sich ständig im Wandel befinden.

Die Finanzbedürfnispyramide

Einer der wichtigsten Forscher in Bezug auf die Bedürfnisse der Menschen war der Psychologe Abraham Maslow (1908–1970). Die nach ihm benannte Maslowsche Bedürfnispyramide lässt sich in so gut wie jedem Bereich der Wirtschaft anwenden. Die darauf basierende Finanzbedürfnispyramide nach Prof. Dr. Stefanie Auge-Dickhut, Prof. Dr. Bernhard Koye und Axel Liebetrau besagt, dass Anleger:innen eine Reihe von Bedürfnissen haben, die sich hierarchisch anordnen lassen.

Demnach fallen traditionelle Bankprodukte (Zahlungsverkehr und/oder die Kontoführung) unter die Grundbedürfnisse der Kund:innen. Sind diese gedeckt, folgen Bedürfnisse nach Sicherheit. Auf Finanzprodukte und -vehikel übertragen bedeutet Sicherheit, dass finanzielle Mittel oder etwa die Finanzierung von Immobilien abgedeckt sind (sichere Geldanlage und Finanzierung). Die dritte Stufe stellen die sozialen Bedürfnisse dar. Hier äußert sich bei Kund:innen der Wunsch nach mehr Vernetzung, Kommunikation und Partizipation. Die vierte Stufe bilden die Individualbedürfnisse, also Bedürfnisse nach passgenauen (personalisierten) Finanzdienstleistungen. Hierunter fällt auch der Wunsch, die eigenen Werte in der Vermögensanlage widergespiegelt zu sehen. Die Spitze der Pyramide — das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung — umfasst den Kundenwunsch, die eigenen (Finanz-)Fähigkeiten weiterzuentwickeln, autonomer handeln zu können (Empowerment) und Gelerntes anzuwenden.

Die Finanzbedürfnispyramide

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Auge-Dickhut et al. (2014:137f.)

Nach langer Überlegung komme ich zu der Einschätzung, dass sich Deutschland aktuell etwa im mittleren Bereich der Finanzbedürfnispyramide befindet. Deutschland kann sich damit zu den glücklichen Ländern zählen, in denen die unteren Stufen der Maslowschen Finanzbedürfnispyramide weitgehend gegeben sind. Der Zahlungsverkehr und die Kontoführung laufen (zumindest aus Sicht der Endverbraucher:innen) weitgehend reibungslos — sind sogar gesetzlich geschützt und reguliert. Auch das Angebot an „sicheren“ Finanzierungs- und Geldanlageprodukten ist im Markt zur Genüge vorhanden.

Im Unterschied zu den USA oder Asien sind allerdings die sozialen Bedürfnisse nach vernetzter Kommunikation und Partizipation bisher nur dürftig gestillt. Eine Tatsache, für die sich weder die deutsche Technologiebranche noch die Finanzbranche rühmen dürfen. Dieser Punkt geht eindeutig an GAFA und vereinzelt auch an deutsche Bank Challenger wie etwa die Fidor Bank. Weiter oben auf der Pyramide der Finanzbedürfnisse wird das Angebot an Produkten und Dienstleistungen in Deutschland sehr dürftig.

Finanzdienstleistungen sollten vor allem sicher, professionell, schnell und persönlich sein.

Die klassischen Erwartungen wie Sicherheit, kompetente Beratung oder die Größe des Filialnetzes sind auch heute noch relevante Erfolgsindikatoren (Key Performance Indicators, KPI) bei der Bewertung der Kundenzufriedenheit. Neu ist allerdings, so das Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey, dass im digitalen Zeitalter auch die Faktoren Schnelligkeit und Individualisierung einen wesentlichen Teil zur Kundenzufriedenheit beitragen. Es geht nicht mehr darum, guten Service zu bieten, sondern in Einklang mit den Wünschen der Kund:innen den besten Kundenservice personalisiert über alle Kanäle jederzeit zur Verfügung zu stellen.

///

Mehr zu den veränderten Bedürfnissen und Erwartungen der Kund:innen im digitalen Zeitalter erfahren Sie in Bionic Wealth

Scroll to Top